Am vergangenen Pfingstwochenende ist es – unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit – zu erheblichen Stromproblemen in Belgien gekommen, die fast zu einer Panne geführt hätten. Hintergrund war aber nicht zu wenig Strom, sondern ein Überangebot, das mithilfe Frankreichs kompensiert wurde.
Sehr viel Sonnenschein und unerwartet viel Wind, außerdem ein verlängertes Wochenende, an dem weniger Strom gebraucht wurde: Belgiens Stromnetze hätten der Überproduktion fast nicht standgehalten. Es sei bestimmt nicht das letzte Mal, dass ein Ausfall drohen könnte, ist sich Ronnie Belmans, Professor für elektrische Energie an der Katholischen Universität von Löwen (KU Leuven), sicher: »Früher hatte man es einfach: Es gab einen Plan mit Informationen zu allen Tagen im Jahr. Auf diese Weise konnte man im Voraus organisieren und die Produktion der Nachfrage anpassen«, sagte er der flämischen Zeitung »De Standaard«.
Unzuverlässigkeit
Mit erneuerbaren Energien sieht die Sachlage aber etwas anders aus. Die Sonne scheint im Sommer am stärksten, ausgerechnet dann, wenn am wenigsten Wärme benötigt wird. Im Winter dagegen ist Sonnenwärme knapper. Auch Wind ist keine zuverlässige Energiequelle. Er ist nicht immer am richtigen Ort in der richtigen Stärke vorhanden. Der Erfahrung nach bläst er relativ regelmäßig in Küstennähe und auf Bergen und genau dort ist es schwer, die Industrie anzusiedeln, um Energie zu gewinnen.
Die EU hat sich in den kommenden Jahren ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis 2020 sollen 20% des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen kommen. In der Wallonischen Region ist der Eifer noch größer: Bis 2016 sollen im südlichen Landesteil Belgiens rund 30% der verbrauchten Menge Strom aus erneuerbaren Energie stammen. Bis 2020 soll dieser Anteil auf 37,9% ansteigen.
Wind und Sonne sind ein Geschenk der Natur, kostenlos sowie reichlich und dauerhaft zu haben. Der größte Nachteil ist jedoch die beschriebene Unzuverlässigkeit. An sonnigen, windigen Tagen wie am vergangenen Wochenende wird mehr Energie als benötigt produziert, mit der Folge, dass es zu einer Überbelastung des Netzes und einem Stromausfall kommt, wenn nicht rasch eingegriffen wird. »Solche kritischen Momente wird es künftig häufiger geben. Jetzt gab es diese Krise an einem windigen und sonnigen Wochenende, aber in Zukunft könnte es diese auch an einem Wochentag in der Ferienzeit geben«, sagte der Universitätsprofessor.
Keine Speicherung
Nach Angaben eines Berichts der Energiebehörde, der im Auftrag der Föderalregierung erstellt wurde, wird in Belgien der Strom knapp, sollten, wie 2003 beschlossen, drei der sieben belgischen Atomreaktoren am vorgesehenen Termin im Jahr 2015 vom Netz genommen werden. Auf der einen Seite zu viel Strom, auf der anderen Seite ab 2014 zu wenig – kein Widerspruch, wenn man sich die Nachteile der »sauberen« Energieformen vor Augen führt.
Zu der Unzuverlässigkeit kommt noch die Tatsache hinzu, dass der Strom nicht gespeichert werden kann, sondern sozusagen sofort an Ort und Stelle verbraucht werden muss. Für den Transport müssen die Stromnetze umfassend modernisiert werden. Wenn die Föderalregierung am Datum des Atomausstiegs festhalten sollte, müssen neben erneuerbaren auch klassische Energieformen (Steinkohle, Gas) zur Überbrückung dienen. Wegen der großen Unsicherheit auf dem Energiemarkt halten sich Investoren aber zurück. Außerdem reagiert die Verwaltung träge. Beispiel Antwerpener Hafen: Hier möchte der Konzern E.ON ein Steinkohlekraftwerk bauen, wartet bislang aber vergeblich auf eine Umweltgenehmigung. Juristische Probleme bei der Realisierung von Gaswerken gibt es darüber hinaus in Marcinelle und Visé. Um bei der Energiewende Zeit zu gewinnen, sind laut Professor Ronnie Belmans Gaswerke eine »logische Lösung«. Allerdings nimmt auch hier die Investitionsbereitschaft ab, weil erneuerbare Energien Priorität genießen.
Unzählige Möglichkeiten, einer drohenden Stromkrise vorzubeugen, gibt es bislang nicht. Die stärkere Zusammenarbeit mit Nachbarländern stößt an Grenzen: Deutschland und die Niederlande wären im Gegensatz zu Frankreich schlechte Abnehmer, weil diese beiden Länder mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Und wenn Belgien den Stromimport erhöht, hätte es noch weniger Kontrolle über die angewendeten Tarife.
»Intelligente« Regler
Eine Alternative wäre das »intelligente« Verwalten der Stromnachfrage: So sind verschiedene Industriebetriebe Kunden beim Energietechnologieunternehmen REstore, das den Stromverbrauch auf Anfrage erhöhen oder drosseln kann. Mehr Flexibilität könnte es mit »intelligenten« Stromreglern auch in Privathaushalten geben, beispielsweise würde eine Waschmaschine erst dann starten, wenn Spitzenverbrauchszeiten vorbei sind.
Weil Strom eigentlich nicht gespeichert werden kann, sind Anlagen wie das Pumpspeicherkraftwerk von Coo-Trois-Ponts besonders wertvoll. Das Kraftwerk dient der Speicherung von elektrischer Energie durch Hinaufpumpen von Wasser. Dieses lässt man später wieder bergab fließen und erzeugt dabei mittels Turbinen und Generatoren wieder elektrischen Strom. In Deutschland tüftelt man zudem an dem Verfahren »Power to Gas«: Dabei kann Strom aus erneuerbaren Energien in Wasserstoff oder synthetisches Erdgas umgewandelt und im Erdgasnetz gespeichert werden. Damit könnten große Mengen Strom aus erneuerbaren Energien langfristig gespeichert werden. Allerdings ist der Wirkungsgrad relativ gering. Schließlich gelten Batterien nur auf lokaler Ebene als Lösung, weil die Kapazitäten zu klein sind, um große Ungleichgewichte auszugleichen.
Quelle: Grenzecho (Belgien) vom 09.06.2012
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